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Zu Besuch in der Löcknitzhölle

Samstag. 18:30 Uhr. Löcknitzhalle (umgangssprachlich liebevoll Löcknitzhölle genannt). Oberliga Ostsee-Spree Männerversion. Anpfiff des Derbys aller Derbys in der Region: Grünheider SV gegen den MTV 1860 Altlandsberg.

Wieso heißt ein Derby eigentlich Derby? Ja, es hat was mit England zu tun. Und nein, es hat, zumindest ursprünglich, nichts mit dem heutigen Fußball zu tun. Wir befinden uns im Mittelalter. Genauer: 12. Jahrhundert nach Christus im Dorf Ashbourne. Zwei Teams versuchten mit einem Fellbündel den jeweils gegnerischen Mühlstein zu berühren. Wobei die Mühlsteine allerdings so ungefähr drei Meilen (ca. 4,8 km) auseinander lagen und in jedem Team so um die 1000 Menschen mit rannten.

Die Engländer spielen es noch heute. Die Spielzeit beginnt um 14:00 und endet um 22:00 Uhr . Wird vor 17:00 Uhr ein Tor erzielt, kommt ein neuer Ball ins Spiel, das inzwischen Royal Shovetide Fooball heißt. Für uns heute bedeutsam: Ashbourne lag in der Grafschaft Derbyshire, war also ein derby village. Das „derby“ hat sich erhalten und wird übrigens nur in den USA und in Deutschland „Dörbi“ ausgesprohen. Die Briten selbst sagen ungleich vornehmer „Dahbi“, und man kann sich nie sicher sein, ob sie nicht doch die Prüfung für dreijährige Vollblüter im Galopprennsport meinen, die ihren Anfang 1780 nahm und im Gegensatz zur Volksbelustigung nicht auf die Grafschaft, sondern auf deren Graf selbst zurückzuführen ist, den 12. Earl of Derby.

Was das mit Handball zu tun hat? Nichts, außer dass es sich bei der am Samstag anstehenden Begegnung zwischen den 1. Herren des Grünheider SV und den 1. Herren des MTV 1860 Altlandsberg um das Regionalderby heutigen Sprachgebrauchs handelt. Hat man nämlich einmal Ort und Zeit des Ereignisses genannt, bleibt nicht mehr viel hinzuzufügen. Die Fans beider Teams wissen sowieso was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird. Erscheinen ist Pflicht. Und neutrale Fans des Herrenhandballs an und für sich (falls es so etwas bei dieser Konstellation überhaupt geben kann), denken gar nicht daran, sich das entgehen zu lassen. Bei Herne-West gegen Lüdenscheid-Nord bleibt schließlich auch keiner mutwillig zu Hause.

Die sportlichen Vorzeichen der Prestigebegegnung sind widersprüchlich. Grünheide wird sich angesichts der personellen wie finanziellen Investitionen in die Spielzeit mit einem 12. Platz in der Oberligatabelle kaum zufrieden geben können. Und tatsächlich weist die Zielrichtung der Schützlinge von GSV-Coach Uwe Schwiderski zuletzt wieder nach oben. Nach acht sieglosen, sicherlich deprimierenden Begegnungen in Folge, konnten zuletzt sowohl die Partien gegen den Bad Doberaner SV sowie gegen den amtierenden Oberligameister Lausitzer HC Cottbus aus Sicht Grünheides siegreich bestritten werden (20:13 zu Hause gegen Bad Doberan, 28:23 in Cottbus gegen Cottbus ). Man muss keine hellseherischen Kräfte besitzen um vorauszusagen, dass die Grünheider diese kleine Serie weder zu Hause und schon gar nicht gegen den MTV werden abreißen lassen wollen.

Die MTV-Herren bekleiden derzeit den fünften Platz in der Oberligatabelle. Sollte alles mit rechten Dingen zugehen, werden sie mit dem Aufstieg in dieser Spielzeit nichts und mit dem Abstieg weniger als nichts zu tun haben. So richtig glücklich ist aber auch beim MTV niemand mit dem Stand der Dinge. Mitreißenden Spielen stehen einige unterambitionierte Auftritte der Grün-Weißen entgegen. Und nicht immer waren es die guten Auftritte, die auch mit zwei Punkten belohnt worden wären. Das bisher beste MTV-Spiel der Saison ist denn auch bezeichnender Weise keine Niederlage und kein Sieg, sondern ein Unentschieden. Das 22:22 gegen die einsamen Tabellenführer der Füchse. Da kommt das Derby gerade Recht, um die Mannschaft mit dem ihm ureigen innewohnenden Hallo-wach-effekt aus den Mühen der Ebene zu entführen.

Dabei kann man den Altlandsberger Übungsleiter bei dem Kunststück in Sachen Menschenführung beobachten, die Reizpunkte, die ein solches Derby automatisch setzt, für das Derby selbst wie für die Zielgerade der Saison zu nutzen und die Bedeutung der ganzen Veranstaltung auf Normalmaß einpendeln zu lassen. Tilo Leibrich: „Ich will natürlich nicht so tun, als wäre das Match gegen unsere Nachbarn von der Löcknitz eines wie jedes andere, aber gerade deshalb müssen wir es am Ende so angehen, wie jedes andere auch. Auch am Samstag werden 60 Minuten gespielt und auch am Samstag wird das Team gewinnen, das hinten besser verteidigt und vorne mehr Tore macht. Dafür haben wir die ganze Woche so hart gearbeitet, wie die Woche zuvor und wie wir die Woche danach auch arbeiten werden.“

Wobei MTV-Vorsitzender André Witkowski, Veteran zahlreicher MTV-GSV-Derbys auf und neben der Platte, auch das große Ganze nicht aus dem Blick verliert: „Emotionen sind natürlich das Salz in der Suppe unseres Sports. Aber all das darf natürlich nicht verdecken, dass sich unsere beiden Vereine tatsächlich in liebevoller Konkurrenz, und manche von uns auch nur liebevoll, zugetan sind. Wir helfen einander und arbeiten wo immer es sich anbietet zusammen. Unsere Region ist auch deshalb in Sachen Männerhandball so leistungsstark, weil es den MTV und den Grünheider SV gibt. Der Handball wäre ärmer, wäre es anders. Zuallererst um diese zwei immer wieder so phantastischen Derbys“, um dann mit einem breiten Schmunzeln hinzuzufügen: „Wovon wir am Samstag auch das zweite natürlich für uns entscheiden werden.“

Foto: Edgar Nemschok

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