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Mehr als nur die halbe Miete

Im Relegationshinspiel fegen die Drittliga-Damen des MTV 1860 Altlandsberg die Konkurrenz aus der West-Staffel, die Damen des SFN Vechta, mit 34:21 (14:10) regelrecht aus der Erlengrundhalle. Auch wenn am 1. Mai das Rückspiel noch absolviert werden muss, haben sich die Mädels in grün-weiß eine ausgezeichnete Ausgangsposition erkämpft.

“Jetzt könnte die Saison beginnen”, grinste MTV-Coach Sebastian Grenz nach Abpfiff der Partie schelmisch in die Runde. Ihm war anzusehen, dass er vor Begeisterung über die Leistung, die seine Schützlinge gerade auf die Platte gezaubert hatten, gar nicht wusste, wohin er mit sich und seinen Emotionen zuerst hin sollte. Der einzige Grund, weshalb das nicht wirklich auffiel lag darin, dass es kaum jemandem aus dem MTV-Lager anders ging: von den Spielerinnen über die Offiziellen, von den extatischen Fans bis zu den begeisterten Sponsoren wie Heinz-Dieter Jarling oder Thomas John.

Vor allem, weil mit einem derartigen Altlandsberger Triumph an der Papierform der Gegnerinnen gemessen nun wirklich nicht zu rechnen gewesen war. Über Wochen hatte alles danach ausgesehen, als käme es zum Relegationsduell zwischen dem MTV und dem PSV Recklinghausen. Dann aber besiegte der SFN (Sport-Club Sportfreunde Niedersachsen) Vechta erst vollkommen überraschend den drittplatzierten HSV Solingen-Gräfrath ´76 mit 28:25, gleich darauf den direkten Konkurrenten Recklinghausen mit satten 33:17 und schließlich die Bundesligareserve der HSG Blomberg-Lippe in Blomberg mit nicht minder beeindruckenden 34:24.

Demenstprechend sind die Vechtaer Mädels auch in die Partie gegen den MTV gegangen. Sie markierten die erste Führung und verteidigten sie bis zum 6:5 in der 12. Minute. Vor allem Vechtas Tina Schwarz schien nicht nur vor der Altlandsberger Abwehr nach Lust und Laune agieren zu können – sie war gegen Blomberg II sieben, gegen Recklinghausen acht und gegen Solingen sechs Mal erfolgreich -, sie traf auch aus scheinbar allen Lagen. Aber bereits in dieser Sturm- und Drangphase vergab die eigentlich sichere Sieben-Meter-Schützin einen Sieben-Meter-Wurf. Der Moment, in dem sie nur sechs Minuten später und beim Stand von 6:6 den zweiten Sieben-Meter verwarf, kann als Wendepunkt der Partie betrachtet werden. Fortan fand eine von Vechtas gefährlichsten Werferinnen eigentlich nicht mehr statt.

Umso heller strahlte an diesem Samstagnachmittag der Stern der etatmäßigen Altlandsberger Goalgetterinnen Martyna Rupp, Lucyna Trzczak und Ann-Catrin Höbbel. Sie, beziehungsweise ihre Tore hielten den MTV in der richtungsweisenden Anfangsphase bis zum 6:6 (13. Minute) im Spiel. Sie waren es, die nur acht Minuten, vier Treffer von Lucyna Trzczak (darunter ein lupenreiner Hattrick binnen 100 Sekunden) und zwei Treffer von Martyna Rupp später, die mit vorentscheidende Altlandsberger 12:6 Führung erzielten. Am Ende waren Ann-Catrin Höbbel für sieben (darunter fünf vom Sieben-Meter-Punkt), Martyna Rupp ebenso (alle aus dem Feld) und Lucyna Trzczak sogar für zehn (darunter ein Sieben-Meter) Altlandsberger Tore verantwortlich.

Noch aber wollten sich die Vechater Mädels nicht geschlagen geben, zeigten eindrücklich, wieso es ihnen mit einer Mischung aus Nervenstärke und Können gelungen war, Recklinghausen kurz vor der Ziellinie noch den Relegationsplatz streitig zu machen. Bis zur Pause nahmen sie den MTV-Damen zwei Tore wieder ab, verkürzten aus ihrer Sicht auf 10:14. Und gleich nach der Pause nutzten sie geschickt einen Altlandsberger Moment der, sagen wir mal, Schwäche, um auf 14:17 heranzukommen. Aber während sich einige Altlandsberger Fans besorgt zu fragen begannen, ob sich die in diesen ersten fünf Minuten des zweiten Durchgangs zahlreichen vergebenen Chancen rächen würden, schüttelten sich die MTV-Mädels und nahmen das Heft den Handelns wieder in die eigenen Hände.

Wie sehr und überzeugend, lässt sich am eindrücklichsten dem Spielprotokoll entnehmen. Der SFN landete seinen vierzehnten Treffer in der 35. Minute. Den fünfzehnten erzielte er in der 43. Minute – zur zwischenzeitlichen 24:15 Führung des MTV. In den verbleibenden zweiten Hälfte des zweiten Durchgangs gab es eigentlich nur noch eine offene Frage: Wie hoch würde der Vorsprung werden, mit dem die Altlandsbergerinnen am 1. Mai In Vechta zum Relegationsrückspiel antreten? Die Antwort gaben die Grün-Weißen ihren Fans, die sich zum Dank längst von ihren Plätzen erhoben hatten, nach 60 Minuten: sage und schreibe 13 Stück. Sage da noch irgend jemand etwas von Unglückszahl…

Wie so oft im Leben, hat auch hier der Erfolg viele Mütter. Das wirkliche Geheimnis dieses fulminanten Altlandsberger Auftritts war eben nicht nur die Sahneform des bereits erwähnten Trios Rupp – Trzczak – Höbbel. Tatsächlich hat an diesem Samstag Nachmittag jede einzelne der Spielerinnen in grün-weiß ihr bestes Saisonspiel, mindestens aber eines der besten Spiele auf die Platte gelegt. Angefangen bei den Torhüterinnen Jennifer Höft und Yania Silva Alfonso, die alle möglichen wie unmöglichen Würfe, vier Sieben-Meter inklusive, parierten. Über Christine Miniers, die den Spezialistenwechsel ebenso meisterte, wie die Aufbauarbeit in der Mitte und den gefährlichen Wurf aufs gegnerische Tor (sie trug drei Treffer zum Gesamtergebnis ihrer Farben bei). Oder Marlene Steffen, die mal wieder für die psychologischen Wirkungstreffer bei den Gegnerinnen zuständig war und es insgesamt auf vier Tore brachte. Oder Sophia Mattisseck (zweI Tore) und Manja Berger (ein Tor), die sich unermüdlich aufrieben, ganz gleich wohin sie der Trainer auf dem Spielfeld beorderte. Bis zu Rükkehrerin Annika Fleck, deren Nominierung allein für einen entscheidenden Motivationsschub gut war.

“Mindestens so wichtig für unseren Sieg”, gab der Altlandsberger Übungsleiter hinterher zu Protokoll und strahlte dabei immer noch über das ganze Gesicht, “wie unseren vielen Tore, war, dass die Mädels bei der Vorbereitung genau aufgepasst haben und jede einzelne für sich im Videostudium die Laufwege, das Entscheidungsverhalten, die Stärken und Schwächen unserer Gegnerinnen analysiert und sich Gegenmaßnahmen überlegt hat. Ganz am Ende haben wir diese vielen, vielen Einzelteile auf dem Feld wieder zusammen geführt, haben heute nicht als Gemeinschaft unabhängiger Spielerinnen agiert, sondern als ein Team, ein Körper mit einem einzigen Ziel: so hoch wie möglich zu gewinnen.”

Aber obwohl seine Damen gegen Vechta mehr Treffer landen konnten als in irgend einem anderen Match dieser zu gleichen Teilen so schwierigen wie unglücklich verlaufenen Saison, tritt Sebastian Grenz – vorerst! – noch auf die Euphoriebremse: “Noch sind wir nicht durch. Noch müssen wir in drei Tagen nach Vechta und dort, in der eigenen Halle, vor den eigenen Fans, werden sie es uns wahrscheinlich nicht so einfach machen wie heute. Dreizehn Tore Vorsprung sind natürlich ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Ein rundum sorglos Paket sind sie nicht. Deshalb ist morgen am Sonntag auch nicht frei, sondern Training angesagt.” Das glückselige Lächeln wollte aber auch bei diesen Worten nicht aus dem Gesicht des Trainers weichen.

MTV:

Jennifer Höft (Tor), Yania Silva Alfonso (Tor), Manja Berger 1, Josephine Dähne, Annika Fleck, Ann-Catrin Höbbel 7/5, Sophia Mattisseck 2, Christine Miniers 3, Bernadet Mudri, Martyna Rupp 7, Marlene Steffen 4, Tina Stehlik, Lucyna Trzczak 10/1.

Foto: Edgar Nemschok

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